und andere Erzaehlungen
Wie Stifter Amalie Mohaupt kennen lernte
Stifter war zu einer häuslichen Tanzunterhaltung eingeladen. Als die Gesellschaft aufbrechen wollte, goß es draußen in Strömen. Da um die schon sehr vorgerückte Stunde nirgends ein Fiaker aufzutreiben war, wurden die Damen von der Frau des Hauses mit festen Schuhen versehen und der Obhut der Herren übergeben. Stifter war so glücklich, das Fräulein Amalie Mohaupt heimbegleiten zu dürfen. Amalie, deren Reize Stifters Aufmerksamkeit schon während des Balles in hohem Maße erregten, war in Gesellschaft einer älteren Begleiterin, bei der sie in Wien wohnte, zu der Unterhaltung erschienen.
Nach einigen Tagen erhielt nun Stifter von der Frau, die jenen Hausball gegeben hatte, einen Brief, worin sie mitteilte, Fräulein Amalie vermisse ihre Ballschuhe und glaube sich zu erinnern, sie Herrn Stifter bei jenem Heimwege anvertraut zu haben. - Die Sache verhielt sich wirklich so. Die Schuhe befanden sich in der Seitentasche seines Mantels. In seiner Begeisterung hatte er dieselben zu übergeben vergessen. Er antwortete sogleich, es werde ihm Vergnügen bereiten, sie der Eigentümerin persönlich zu überbringen. So brachte er als dem schönen Fräulein Amalie die Schuhe, plauderte eine Weile mit ihr und empfahl sich wieder. Beim Weggehen aber schien es ihm, als wäre er zum Wiederkommen eingeladen worden, was zur Folge hatte, daß er zuerst in drei Wochen und dann in immer kürzeren Zwischenräumen seinen Besuch wiederholte, bis er endlich jeden Tag als verloren betrachtete, an dem er Amalie nicht gesehen hatte.